Europa denken. Jan Patockas Reflexionen über die europäische Vernunft und ihr Anderes
Was bedroht uns? Und wenn ich »uns« sage, wer ist damit gemeint? Wer ist in diesem »Wir« bedroht? Und was heißt es überhaupt »bedroht zu sein«? Die Schwierigkeit dieser Frage liegt darin, dass sie eine vorangehende Betrachtung über die Möglichkeit eines philosophischen Diskurses erfordert, welcher sich das Recht einräumt, diese Bedrohung oder Gefahr zu benennen. Was bürgt dafür, dass eine solche Benennung nicht selbst eine Bedrohung darstellt? Die geistige, ideologische und politische Geschichte des 20. Jahrhunderts ist durchzogen von Diskursen, die auf verschiedene phantasmatische oder imaginäre Weisen ein » Wir« konstruiert haben (die Zivilisation, der Okzident, dieses oder jenes Volk, diese oder jene Nation oder nationale Identität, diese oder jene »Rasse«, ja gar die Menschheit), auf das man sich berief, um damit sogleich dasjenige zu beschreiben, was für dieses »Wir« eine Bedrohung darstellt. Und ebenso ist diese Geschichte aus den Taten und den Verbrechen gemacht, die begangen wurden im Namen der Vorbeugung gegen eine angeblich drohende Gefahr.
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